Tribüne - Zur Diskussion gestellt:
Der Zürcher Peter Petrej, Antiquar, führt seit 30 Jahren sein eigenes Antiquariat in der Stadt Zürich. In seiner Tätigkeit hat er Erfolg, er macht sich aber auch ernsthafte Gedanken über den Lauf der Geschäfte in seiner Branche. Nun hat er 10 interessante Thesen dazu verfasst, die er der Öffentlichkeit präsentiert, verbunden mit der Hoffnung, dass aufgrund dieser Thesen eine aufbauende Diskussion in Gang kommt, die positive Anstösse für eine Veränderung in der Branche zu geben vermag. Die 10 Thesen wurden in der Stadtzürcher Wochenzeitung "Zürich Nord / Zürichberg" publiziert. Der Autor Peter Petrej hat das Veröffentlichungsrecht an typoinfo.ch erteilt. Dafür besten Dank.
Nachfolgend finden Sie den spannenden Text. Wir freuen uns, wenn Sie ihn lesen und wenn Sie uns Ihre persönliche Stellungnahme dazu via Antwortfunktion zukommen lassen.
typoinfo.ch / Bruno Sidler
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Der Autor des nachstehenden Textes, Antiquar Peter Petrej, in seinem Laden in Zürich. Copyright by Peter Petrej. |
1. Der Niedergang der bürgerlichen Sammelkultur
Die Veränderungen unserer
Lebensgewohnheiten wie steigende Mobilität, hohe Mieten, die Unmöglichkeiten, als
Normalsterblicher ein Haus zu kaufen, sind dem Sammeln abträglich.
Was früher die Sammlung war, sind
heute das Reisen und andere zeitintensive Freizeit-Beschäftigungen.
Sammlerpersönlichkeiten finden meist
keine innerfamiliären Nachfolger, weil unsere sonstigen Möglichkeiten
grenzenlos scheinen. Und wir grenzenlos erfahrungssüchtig sind.
Und Sammlermoden ändern wesentlich
schneller als früher.
Diese Erkenntnis bezieht sich
keineswegs nur auf Bücher. Wer regelmässig an Auktionen teilnimmt, stellt fest,
dass nur bei international gesuchten Spitzenwerken – ganz egal, ob es sich um
Bücher, Teppiche, Gemälde, Grafik, Kunstgewerbe usw. handelt – eifrig geboten
wird. Ansonsten erhält man das meiste zum Ausrufpreis.
2. Das Antiquariatsgeschäft ist ein Männergeschäft
Der Antiquariatshandel ist ein
Geschäft zwischen Männern über vierzig. In dreissig Jahren durfte ich zwei
Sammlerinnen kennen lernen.
Was also ist mit den Frauen los,
dass sie sich für die Schönheit des Buches nicht gleich erwärmen können als
Männer? Und warum huldigen sie nicht auch der "Religion der Bibliophilie",
sammeln Erstausgaben – natürlich mit dem Originalschutzumschlag und am liebsten
signiert –, kurz: huldigen dem Fetisch Buch?
Frauen sind andererseits
zahlreichere Leser als Männer. An Lesungen sind meist über 50 Prozent Frauen
anwesend.
3. Ohne vernünftige Mieten kann kein
Geschäft existieren
Die Krise des Buchhandels und aller
kleinen Geschäfte ist vor allem eine Krise der Mietpreisentwicklung.
Wer nicht einen mäzenatischen
Hausbesitzer hat, der lieber ein gepflegtes Antiquariat in seiner Liegenschaft
hat als einen Kleiderladen, kann nur noch im Internet handeln. Dabei geht die
Sinnlichkeit einer Buchhandlung verloren. Und die Inspiration durch Werke, die
man nicht gesucht hat, die einfach so im Gestell stehen.
Ich frage mich, wie viele neue Ideen
entstanden sind aus dem zufälligen Finden eines Buches, von dem man zuvor noch
nie gehört hat.
4. Preiszerfall dank Internet –
Fluch und Segen des WWW
Ohne einen Internetshop kann heute
kein Geschäft erfolgreich Handel betreiben. Man erreicht die ganze Welt, hat
plötzlich Kunden aus den hintersten Ecken des Globus, die normalerweise keinen
Fuss in ein Zürcher Geschäft setzen würden.
Nicht nur die Kunden kann man im
Netz überall erreichen. Auch alle Antiquare sind dort mit ihren Beständen
präsent. Und alles ist meist von irgendwoher lieferbar.
Bücher aus den USA sind manchmal
trotz des Portos immer noch billiger als in einem Schweizer Geschäft.
Wirklich seltene Drucke haben
natürlich immer noch ihren Preis, aber nur dann, wenn diese aussergewöhnlich
sind und eine internationale Käuferschaft finden.
Sogar bei Inkunabeln und
Handschriften ist laut eines französischen Bibliophilenverbandes seit 1850 ein
massiver Preiszerfall festzustellen.
Und dass immer mehr Auktionshäuser
nur noch wenige oder gar keine Bücher anbieten, zeigt den Lauf der Zeit. Von
Brockenhäusern gar nicht mehr zu reden, die sich oft weigern, Bücher überhaupt
noch abzuholen oder anzunehmen.
Grundsätzlich muss eine
Preisvernichtung konstatiert werden. Jeder der Kollegen und wenigen Kolleginnen
eruiert seinen Preis über das Angebot im Netz.
Was früher die Kompetenz des
Händlers und seine Handbibliothek als Referenz zur Bestimmung des kulturellen
und somit seines finanziellen Wertes war, ist heute wertlos.
Die «Markttransparenz» steht
scheinbar im Netz. Jeder kann den «Wert» seiner Bücher abfragen und auf den
Plattformen für Privatleute anbieten.
Den Antiquar scheint es bald nicht
mehr zu brauchen.
5. Antiquarsbrutalität: «Ihre Bibliothek ist nichts wert!»
Was manche als bauernschlaue Methode
des Händlers verstehen, ist brutale Marktrealität. Wer über Jahrzehnte eine
gepflegte Bibliothek zusammengestellt hat, wird entsetzt sein, wenn ihm der
Antiquar anlässlich einer Besichtigung eröffnet, er nehme nur einige wenige
Bücher, und diese gratis oder nur sehr günstig. Alles andere bleibt stehen –
will er nicht und sonst leider auch niemand.
Und neuerdings zwingt uns Entsorgung
und Recycling Zürich (ERZ) aus ökologischen Gründen, den Buchblock vom Deckel
zu trennen.
Das führt dazu, dass ich
Bücherlieferanten oft dazu verknurre, mit mir zusammen die Bücher zu
zerreissen, wenn es nichts Brauchbares dabei hat, um diese zu entsorgen.
Und ja, die Lager sind voll und das
Leben zu kurz.
6. Gibt es eine Zukunft für das Antiquariatsgeschäft?
Geht man davon aus, dass sich der
Trend weiter so fortsetzt wie in den letzten Jahren, dann muss man damit
rechnen, dass es diesen Berufsstand bald nicht mehr geben wird. Oder nur noch
als Internethändler ohne Gesicht.
Vor allem der Bereich des günstigen
Gebrauchsbuches, in dem die meisten Kolleginnen und Kollegen tätig sind, wird
pulverisiert.
Und dass das akademische Milieu
immer weniger Bücher kauft oder diese liest, geschweige denn sich eine
Bibliothek aufbaut, ist ein weiterer Todesstoss für unser wunderbares Gewerbe.
Dass der schöne Beruf des Antiquars
sich auch keiner Beliebtheit erfreut, zeigt sich daran, dass es keine Anfragen
von Jugendlichen gibt, die eine Lehre im Antiquariat machen möchten.
Influencerin oder Influencer ist halt sexyer und vielleicht auch lukrativer.
Es stellt sich mir die Frage, ob die
Antiquare zu wenig Werbung für ihren wunderbaren Berufsstand machen.
7. Überalterung
Das Alter der mir bekannten
Kolleginnen und Kollegen ist zwischen vierzig und siebzig Jahre. Da die
allermeisten Einmannbetriebe sind, von den wenigen Einefraubetrieben gar nicht
zu reden, gibt es keine Nachfolgerinnen oder Nachfolger.
Somit ist damit zu rechnen, dass in
den nächsten Jahren grosse Bestände auf den Markt kommen werden, was zu
weiterem Preiszerfall führen wird. Oder diese landen direkt in der Mulde.
Schenkungen an Bibliotheken in globo
sind nicht mehr möglich.
Ein Kunde mit 2000 Bibeln aus dem
18. Jahrhundert erzählte mir, wie schwierig es ist, diese den Bibliotheken
zukommen zu lassen. Diese wollen, was verständlich ist, nur jene Titel, die sie
nicht besitzen. Der Rest interessiert sie nicht.
Ein anderer Sammler mit 5000
Alpenpanoramen hat das gleiche Problem. Sollte er mir diese schenken, wäre ich
total überfordert.
Wohin also mit all den Massen?
8. Gibt es in Zukunft auch noch
Büchersammler?
Ich würde sagen: Auf jeden Fall!
Nicht nur weil das Buch ein wunderbares Objekt, bestehend aus Gestaltung und
Inhalt ist, sondern weil es bis heute das beste Speichermedium für Wissen
ist.
Alle elektronischen Speichermedien
haben immer noch eine zweifelhafte Lebensdauer. Ob man die Festplatte in 500 Jahren
noch lesen können wird, ist doch eher wenig wahrscheinlich, das gedruckte Buch
hingegen schon.
9. Kann es eine Welt ohne Antiquariate geben?
Wer, wenn nicht die Antiquare,
sollte dann das wichtige vom unwichtigen Buch trennen?
Diese Triage wird auch in Zukunft
notwendig sein, will man die Massenproduktion bewältigen.
Natürlich findet vermutlich jedes
Buch irgendwann seinen Käufer. Da der Antiquar aber nicht nur Bücherfreund,
sondern auch Kaufmann ist, kann er nur beschränkt Bücher horten.
Und es gibt viele Bücher, die in
betriebswirtschaftlich sinnvoller Frist unverkäuflich sind, die schlicht
niemanden interessieren.
10. Wie weiter?
Die Welt ändert sich, Berufe
verschwinden, neue werden geschaffen. Es kann gut sein, dass der Beruf des
Antiquars in seiner heutigen Form aufhört zu existieren.
Was mich jedoch betrifft, lassen mich
die Leidenschaft am Buch und meine lexikalische Neugierde noch nicht los.
Weitermachen ist angesagt!
Mein Vorbild ist der Berner Galerist
Eberhard W. Kornfeld, der im Alter von fast hundert Jahren kürzlich verstarb.
Ein Leben, in dessen Zentrum seine Leidenschaft stand und weniger das Geld. Als
ich ihm letzten August einige Blätter von Dürer zeigen konnte, war ich von
seiner Klarheit, seiner Kompetenz und seiner Bescheidenheit beeindruckt.
Ich
denke, ich bin auf einem guten Weg. Und danach ist mir alles wurscht. Und wer
etwas anderes behauptet, der lügt!
Peter Petrej äussert hier seine persönliche Meinung.
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Die Adresse seines Antiquariats:
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